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32 MATTHIAS WERNER
12. Jahrhunderts zur ludowingischen Herrschaft Hessen zählte122. Wohl gleichzeitig damit übernahm er auch das Gericht Leineberg bei Göttingen, dem noch 1240 So- phies Bruder Landgraf Hermann II. vorgestanden hatte und dessen Besitz den An- spruch auf die Herrschaft im Leinegau begründete123. Auf welche Rechtsgrundlage sich Herzog Otto berief, ist offen. Dass er unter Hinweis auf die Heirat seiner Toch- ter Helene († 1272) mit dem 1241 verstorbenen Hermann II. Erbansprüche auf das lu- dowingische Erbe geltend machte124, dürfte unwahrscheinlich sein. Sehr viel eher han- delte es sich wohl um einen Akt der Revindikation125 und im Falle Mündens um eine – durch den weitgehenden Ausfall des Königtums ermöglichte – Inbesitznahme eines ledig gewordenen Reichslehens126. Ebenso wie kurz darauf mit dem Ausgriff auf die thüringischen Ludowinger-Orte Eschwege (1250), Allendorf und Witzenhausen 1258) verfolgten er und seit 1252 sein Sohn Albrecht mit diesen Schritten das Ziel, in Wie- deraufnahme der Politik Heinrichs des Löwen die welfische Herrschaft wie einen Keil tief nach Süden in das hessisch-thüringische Grenzgebiet an Leine, Werra und Weser auszudehnen127.
Lediglich an der südlichen Grenze waren kaum größere Gefährdungen zu befürch- ten. Hier bildete das Reich mit dem von den frühen Staufern geschaffenen Reichsland Wetterau den wichtigsten Machtfaktor128. Das Reichsland, dessen Verfassungs- und Verwaltungsstrukturen unter Friedrich II. weiter intensiviert und bereits in Richtung auf die künftige Reichsvogtei Wetterau umgestaltet worden waren, konnte vor allem dank der Rolle seiner Städte129 die Krisen der Königsherrschaft in den 1240/60er Jah- ren relativ gut überdauern und stellte, obgleich es – wie bei der Einnahme Friedbergs 1252 durch König Wilhelm von Holland130 – mehrfach von den Auseinandersetzun-
122 zillmann (wie Anm. 50), S. 272–275; zur Gründung der Stadt Münden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts durch die Ludowinger auf – mitsamt dem Kaufunger Reichsforst – zu Lehen erhaltenem Reichsgut vgl. Karl heinemeyer, Die Gründung der Stadt Münden. Ein Beitrag zur Geschichte des hes- sisch-sächsischen Grenzgebietes im hohen Mittelalter, in: Hess.Jb.LG 23 (1973), S. 141–230, hier S. 225 f.
123 zillmann (wie Anm. 50), S. 275 f.; sicher ist die Grafschaft 1248 in der Hand Herzog Ottos bezeugt, ebd. S. 275 mit Anm. 2353.
124 So etwa zillmann (wie Anm. 50), S. 272 f.; Helene war bald nach dem Tod Hermanns II. mit Herzog Albrecht I. von Sachsen († 1260) verheiratet worden; vgl. oben S. 13 mit Anm. 21.
125 Vgl. aufGeBauer (wie Anm. 50), S. 90 f. Zu der welfisch-ludowingischen Gemengelage im Werraraum und Leinegau sowie zum Vordringen der Ludowinger in dieser Region nach dem Sturz Heinrich des Lö- wen 1180 vgl. Patze, Landesherrschaft (wie Anm. 53), S. 226, 235.
126 Zillmann (wie Anm. 50), S. 273, hält es in Anschluss an Bernhard diestelkamP, Die Städteprivilegi- en Herzog Ottos des Kindes, ersten Herzogs von Braunschweig-Lüneburg (1204–1252) (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 59), Hildesheim 1961, S. 173 f., 181, für gut denkbar, dass Herzog Otto vom Kaiser mit Münden belehnt wurde bzw. dass er die kaiserliche Anerkennung erlangte. Doch dürfte dies mit Blick auf die politische Situation Kaiser Friedrichs II. in den Jahren 1247/50 äu- ßerst unwahrscheinlich sein.
127 zillmann (wie Anm. 50), S. 271.
128 Das Folgende stützt sich auf die weiterhin grundlegende Untersuchung von schwind, Landvogtei, hier
besonders S. 68–99.
129 Ebd., S. 74.
130 Ebd., S. 87.